»Warum hast Du das denn gemacht, mit diesen vertauschten Rollen?«
Sie ist über 80, kennt mich über Jahrzehnte hinweg, weiß aber erst jetzt, dass ich das Buch geschrieben habe, das sie seit zwei Tagen liest.
Verwundert sieht sie zu mir. Weshalb, strahlt aus ihren Augen, sollte man die Rollen von Männern und Frauen tauschen. »In der Geschichte erhalten die Männer noch nicht einmal Bildung! Und die Frauen haben das Sagen.« Sie klingt empört.
Genauer ist es so: Die Fürstinnen haben das Sagen. Sie verfügen über die Herrschaftsgewalt im je eigenen Land und sie reisen zur jährlichen Versammlung des Hohen Rats, der die Geschicke des gesamten Reichs steuert. Ihre Söhne und Brüder dürfen in der Tat weder Lesen noch Schreiben lernen. Dafür lehrt man sie vieles andere: Wappenkunde, Kartenlesen, das Verteidigen und Schützen von Fürstin und Land, den Umgang mit Waffen. Und – natürlich im Reich der Vereinigten Mutterländer – man unterrichtet sie in der Mütterlichkeitslehre. Letztere soll bewirken, dass die edlen Männer gar nicht erst auf den Gedanken kommen, sich wieder an die Macht zu putschen.
Warum habe ich das gemacht? Mit allen möglichen Fragen habe ich gerechnet, sobald ich mich als Buchautorin ihr gegenüber oute. Doch nicht mit dieser.
Trotzdem fällt mir sofort eine Antwort ein, als hätte ich lange darüber gegrübelt. Was nicht stimmt. Die Geschichte war einfach zu mir gekommen, hat mich nicht mehr losgelassen und mir Spaß gemacht. Ich habe nicht erst über eine Botschaft, die ich rüberbringen möchte, und danach über die dazu passende Story nachgedacht.
Warum also?
Weil wir Ungerechtigkeiten besser erkennen, wenn wir sie nicht gewohnt sind. Weil wir uns eher gesellschaftliche Bedingungen bewusstmachen, die unüblich sind.
Wer hätte sich in einem historischen Roman gewundert, dass Frauen weniger Bildungsmöglichkeiten haben als Männer? Niemand. Das war damals schlicht so gewesen. Folglich nehmen wir es in Geschichten, die sich an die entsprechende Zeit anlehnen, einfach hin.
Gesellschaftliche Bedingungen und die Suche nach gerechten Verhältnissen sind etwas, das mich reizt. Das habe ich auf die Heldin der Romanreihe, Iara von Kampan, übertragen. Obwohl sie gemäß Mütterlichkeitslehre und als Fürstin über Macht verfügt, man ihr mit Achtung und Dienstbarkeit gegenüberzutreten hat, ist sie unzufrieden. Sie spürt, dass die Hervorhebung eines Geschlechts und vor allem die Bündelung von Herrschaftsgewalt in einer Person nicht richtig sind. Der Held der Geschichte hingegen, Tino von Berchag, ist ein Verfechter der Mütterlichkeitslehre und sieht sich durch die Verhältnisse in Kampan bestätigt. Er sucht nicht so sehr Gerechtigkeit, sondern funktionierende und friedenserhaltende Bedingungen. Seine eigenen Erfahrungen lehren ihn, dass er als Mann dafür nicht der Passende wäre.
Warum diese Art von Rollentausch?
Noch einmal zurück zur Ausgangsfrage, warum ich das mit dem Rollentausch gemacht habe. Deutlich jüngere Leserinnen fragen mich etwas anderes: Wieso hast du die Rollen nicht richtig getauscht? Das habe ich nämlich nicht. Letztlich hat sich im Vereinigten Reich der Mutterländer »nur« die Thronfolge geändert: Sie erfolgt von Mutter zur Tochter, Söhne haben keine Chance auf einen Fürstenthron. Die Frauen werden trotzdem nicht zu Kriegerinnen und Jägerinnen. Es gibt nach wie vor Köchinnen und Stallburschen, Wäscherinnen und Schmiede sowie Näherinnen und Jäger – mit genau diesen geschlechtlichen Zuordnungen. Aber keine Sorge: In Kampan wird auch das im Laufe der Zeit aufgeweicht. Es dauert nicht zu lange, bis Iara ein Schwert in der Hand hält und Klingen kreuzen möchte.
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